Die Geschichte des Reiches O'Har

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Ich wurde zum ersten Mal auf O'Har aufmerksam, als eines Nachts ein kleiner Junge aufgeregt ins Gasthaus von Tarlan, wo ich zu dieser Zeit weilte, gestürmt kam und im Schankraum zusammenbrach. Da ich einige Zeit mit den Künsten der Medizin verbracht hatte, eilte ich ihm zur Hilfe und alsbald war er wieder bei Sinnen. Sogleich erzählte er eine unglaublich anmutende Geschichte. Er habe im Wald zwei vermummte Gestalten belauscht, die über einen Krieg sprachen, der vor dreihundert Jahren in diesen Gefilden Phoenix' gewütet hatte, als seien sie dabei gewesen. Plötzlich habe sich der eine umgedreht und der Junge habe voller Entsetzen in die Augenhöhlen eines Totenschädels geblickt. Er wisse nur noch, daß er dann gerannt sei, so schnell ihn seine Beine tragen wollten.

Während die anderen Gasthausbesucher die Geschichte des Jungen als Hirngespinst abtaten, beschloß ich, der Sache auf den Grund zu gehen. Ich reiste nach Tarjina, zu den Überresten der legendären Großen Bibliothek um zu sehen, was ich herausfinden könnte. Leider waren die großen Khan-Kriege vor dreihundert kaum in Aufzeichnungen zu finden, die den gewaltigen Feuersturm überlebt hatten. Aber schließlich fand ich Überreste der Niederschriften eines Hauptmannes aus einem Land, das Rhûn genannt wurde:

"...at sich die Situation geändert. Keiner weiß, wo sie herkommen, aber der Geruch des Todes geht von ihnen aus. Von hier aus kann ich sie sehen, seelenlose Gestalten, die ruhelos Schwerter schärfen und Rüstungen ausbessern. Und dazwischen immer wieder die Heerführer, Kommandos gebend, bedrohlich, mit leuchtenden Augen. Sie wissen, daß wir sie beobachten, und sie kennen unsere Schwächen. Die Götter stehen uns bei, wenn wir gezwungen sind gegen eine solche Macht anzutreten, das personifizierte Böse kann nicht besiegt werden. Doch wir müssen die Ste..."

O'Har war also wirklich eine der kämpfenden Parteien der Khan-Kriege gewesen. Durch weitere Untersuchungen stieß ich schließlich auf eine Karte, die ein altes Lager der Bibliothek zeigte, Literatur, die nicht für jedermannes Augen bestimmt war. Und so macht ich mich abermals auf den Weg, meine Gesundheit schon stark angeschlagen durch die Strapazen der letzten Wochen. Ich fand das Lager, doch es stand größtenteils leer. Dennoch fand ich einige Dokumente die direkt aus der Feder der Führer O'Hars stammten:

"Dekret an die Führer der jungen Königreiche:

Euch sei hiermit kundgetan, daß nunmehr eine weitere Macht Einfluß nehmen wird in dem Krieg, der nun schon so lange tobt. Zu viele Krieger starben auf den Feldern, die einst der Ehre galten, und die Vorhallen zum Jenseits sind gefüllt. Versagt habt Ihr den Toten die verdiente Ehre, und so kehren sie nun in die Welt zurück, nicht lebend und nicht tot, zu fordern ihren Teil.

Die Mächtige Stimme [augenscheinlich die Übersetzung von O'Har] ist erwacht, um die Rechte der Toten einzuklagen. Nicht Macht fordern wir, sondern Gerechtigkeit. Gibt es in den Vorhallen keinen Platz, so muß dieser hier gefunden werden, in den Reichen derjenigen, die Schuld sind an der Misere. Die Kriege müssen enden, und die Toten wieder geehrt werden, auf daß wir unseren langen Schlaf wieder antreten können.

Die Fürsprecher"

Dieses Dekret löste einige Verwirrung bei mir aus. Bisher waren die Untoten immer als böse Macht angesehen worden, die nur die Vernichtung des Lebens sucht. Diesem Dekret nach wollen sie jedoch lediglich Gerechtigkeit und ein Ende der Zerstörung! Das waren in der Tat einige völlig neue Aspekte. Ein weiterer Punkt verdient noch einige Beachtung. Das Dekret ist mit "Die Fürsprecher" unterzeichnet. Das deutet daraufhin, daß O'Har nicht, wie die anderen Staaten der Khan-Kriege von einen absolutistischen Herrscher regiert wurde, sondern durch eine Art aristokratisches System. Interessanterweise wurden auch alle weiteren internen Dokumente O'Hars von "den Fürsprechern" unterzeichnet, während weitere Dekrete an andere Reiche später nur noch von Einzelpersonen, die sich als Herrscher von O'Har bezeichneten, unterzeichnet waren. Hieraus ist zu schließen, daß die jungen Reiche wohl nicht mit der Idee eines demokratischen Prinzips zurechtkamen und somit O'Har sich entschieden hatte, nach außen hin einen Repräsentanten zu wählen.

Ein weiteres interessantes Dokument, das mir in dem Lager in die Hände fiel, war ein Gedicht eines O'Harschen Poeten:

Tiefe Nacht, ein Schloß gebaut aus Schmerz
Entsteht, die Türme zum Himmel zeigend.
Ein Zeichen daß nun immerdar
Vergangen ist was einst gewesen,
Vorbei die Zeit des Friedens, des stillen Glücks.
Oh unbeschwerte Ruhe, oh selige Nacht,
Verstoßen sind wir
Von dir und können uns nicht weigern,
Das Schwert ruht fest in unserer Hand,
Der Schild er schützt uns
Vor des Feindes Schwert. Doch wer
Schützt uns vor uns ?
Der Haß, er wächst und gedeiht
Und droht uns zu verschlingen.
Wir, die wir nur der Ruhe hofften
Müssen nun streiten für das Recht der Brüder,
Die nicht freiwillig wählten ihr seel'loses Schicksal.
Und schon ertönt des Tages Horn,
Wir ziehen gen feindliche Länder
Und wollen doch nur heim -
Sehnsucht !

Dieses kleine Dokument sagt mehr aus, als es auf den ersten Blick scheint. Zuerst einmal ist die Tatsache an sich bemerkenswert, daß so etwas wie Poesie in einer Untotenkultur überhaupt existiert. Hierin wird außerdem bestätigt, was bereits angeklungen ist: daß die Untoten den Krieg nur ungern führten.

Leider sind wie bereits erwähnt die meisten Aufzeichnungen zu den Khan-Kriegen in den Feuerstürmen verloren gegangen, und so können wir heute, dreihundert Jahre später, nicht sagen, wer endgültig als Sieger hervorging. Fest steht jedoch, daß wer immer es war, er nicht lange Freude daran hatte, denn nur wenige Jahre nach ihrem Ende, brachen, wie wir alle wissen, die Durgoma-Horden über das Land herein und verwüsteten alles, und die jungen Königreiche wie auch das Reich O'Har waren endgültig gezwungen, sich gemeinsam gegen den neuen Feind zu wehren, wenn auch vergebens ...

Von Mêsta und Szornô – die Untoten von O'Har

Doch kehren wir zurück zu den Untoten. Eine interessante Tatsache leitete ich aus den folgenden zwei Dokumenten ab. Bei dem einen handelte es sich um die Meldung eines versprengten Teiles des O'Harschen Heeres an die Kriegsführung, bei dem anderen um eine Eintragung in das Tagebuch (auch ein interessanter Punkt, sie schreiben Tagebücher) eines O'Harschen Mêstas:

"Meldung des 32. Diâga

Feind vernichtet, aber hohe Verluste. Drei Kommandierende wurden verloren, wir haben Schwierigkeiten die telepathische Kontrolle über die Szornô aufrechtzuerhalten. Brauchen dringend Unterstützung"

"Miknon, 23.

Ein weiterer Tag ist vergangen, und wieder bin ich lange am Festungseingang gestanden und habe die untergehende Sonne beobachtet. Der Krieg verläuft zur Zeit nicht besonders gut, aber auch nicht schlecht genug, um sich Sorgen zu machen. Aber ein weiteres Problem zeichnet sich ab: Wir sind zu wenige. Während die Schlachten uns täglich neue Szornôs geben, ist von uns Mêstas kaum noch einer übrig, um sie zu führen. Unsere Hauptanstrengung muß auch weiterhin bleiben, diejenigen von uns zu finden, die irgendwo im Verborgenen liegen und sie für unsere Seite zu gewinnen. Ein starker Zwiespalt. Einerseits brauchen wir jeden verfügbaren Mêsta auf dem Schlachtfeld, um die Truppen zu führen, andererseits sind nur wir dank unseres Bewußtseins in der Lage, die Suche erfolgreich durchzuführen. Immerhin kommen die Experimente voran. Mittlerweile können wir schon soviel des Geistes der Szornô reaktivieren, daß diese selbständig auf gewisse Reize reagieren. Gestern haben wir es sogar geschafft, einen Szornô erfolgreich durch das Labyrinth zu schicken, er konnte sich nachher sogar an den Weg erinnern! Nachdem die Versuche, lebende Pferde an Szornô-Reiter zu gewöhnen bisher kläglich gescheitert sind, ist es uns jetzt immerhin gelungen, erste untote Pferde zu schaffen. Unsere Möglichkeiten steigen wieder. Vielleicht können wir schon in einem Torg [etwa 29 Monate] unseren wohlverdienten Schlaf wieder antreten."

Wie hieraus zu schließen ist, gibt es also mindestens zwei völlig von einander verschiedene Arten von Untoten: die Mêsta und die Szornô. Während die Mêsta über freien Willen verfügen und dementsprechend für die verantwortungsvolleren Aufgaben des Reiches eingesetzt werden, scheinen die Szornô über keinerlei Eigeninitiative zu verfügen. Sie werden vielmehr auf telepathischem Wege durch die Mêsta gelenkt. Meine weiteren Nachforschungen ergaben, daß es sich bei den Szornô um diejenigen handelt, die aufgrund der Überfüllung der Vorhallen zu Untoten geworden sind. (Szornô bedeutet "die Gezwungenen" in der Sprache der Alten) Sie scheinen die Herrschaft der Mêsta auf einer Art instinktiven Ebene anzuerkennen, weil diese, so die Theorie der Mêsta selbst, die einzigen sind, die dafür sorgen können, daß sie ihren verdienten Schlaf endlich antreten können.

Die Mêsta hingegen sind diejenigen, die mit einem bestimmten Ziel auch nach dem Ende ihres Lebens an ihrer Existenz festgehalten haben. Sie sind das, was in unseren Legenden und Geschichten immer wieder auftaucht - als Geister, Vampire, Mumien, Liche und viele andere "Schauergestalten". Sie haben über den Tod hinaus ihre Intelligenz bewahrt und führten die Heere während der Kriege. Ich weiß nicht, wieviele Mêstas es auf Erkenfara gibt, aber aufgrund meiner Nachforschungen glaube ich, daß es nicht viele sind, vielleicht fünfhundert alles in allem. Ich bin zwar auf viele Hinweise auf Menschen, die zu Mêstas wurden, gestoßen, doch sind diese interessanterweise alle mindestens zweitausend Jahre alt, was mich vermuten läßt, daß irgendwann vor zweitausend Jahren etwas passiert ist, das verhinderte, daß weitere Mêstas entstanden (was erstaunlicherweise genau der gleiche Zeitpunkt gewesen zu sein scheint, seit dem keine Khor-Drachenjungen mehr geschlüpft sind). Das macht die Mêsta zu den ältesten, bekannten Geschöpfen dieser Welt (mit Ausnahme der schon erwähnten Khor-Drachen im Norden und des legendären Phoenix' selbst). Der älteste Mêsta, der mir bisher in meinen Nachforschungen begegnet ist, ist über zweiunddreißigtausend Jahre alt !

Vom Verrat an Sakkar el-Muir

Grob gesehen gibt es zwei Arten, auf die Mêstas entstanden sind. Einerseits aus eigenem Antrieb, wenn ein Wissensdurst oder das Verlangen etwas bestimmtes zu tun über den Tod hinaus weiterlebte, und andererseits - und das scheint der weitaus größere Teil zu sein - wenn ein Unrecht zu ahnden war (hier war auch sehr oft Verrat im Spiel). Wie im Beispiel eines der berühmtesten Kriegsherren von O'Har, Sakkar el-Muir. Ich wurde Sakkar aufmerksam, als ich einige Prozessberichte fand, unter denen sich auch sein Fall befand:

"Im Jahre Deioginas 324 erklärt das heiligste Gericht, geleitet durch seine Würde, Kiar min Tanei, und erleuchtet durch die drei Monde der Gerechtigkeit, den Angeklagten, Sakkar el-Muir, ehemaliger Befehlshaber der Streitkräfte zu Loran, für schuldig des schmählichsten Verrates an seinem Land und allen, die auf seinen Schutz vertrauten. Der Angeklagte ist binnen dreizehn Zyklen durch die Streckbank aus dem Leben geführt zu werden. Fürderhin sei bekannt, daß keine Erde seine Leichnam aufnehmen soll, sondern daß er verbrannt werde und die Asche der See überantwortet. So sei es."

Ich suchte weiter zu dem Thema, und fand den Namen el-Muir auch in einigen anderen Dokumenten, so z.B. in einer Bekanntgabe an die Bevölkerung:

"Hiermit sei kundgetan, daß Sakkar el-Muir, Hochverräter und zur Streckbank verurteilt, durch böse Magie dem Gefängnis entronnen ist, und sich nunmehr auf der Flucht befindet. Wer ihn ergreifet und seinen Leichnam dem Gerichtshof präsentiert, kann mit einer hohen Summe reinsten Goldes als Belohnung rechnen."

In einem Tagebuch eines Generals des Landes Kural, über dreitausend Kilometer von Loran entfernt, fand ich schließlich den nächsten Hinweis auf Sakkar:

"Duran, 25.

Heute erschien ein Fremder zu Hofe, der in die Streitmächte eintreten wollte. Er sagte, sein Name sei Sakkar el-Muir, und er sei mit dem Kriegshandwerk wohlvertraut. Ich prüfte ihn lange und eindringlich, und er scheint wirklich Können zu beweisen. Woher er es hat, will er jedoch nicht verraten. Ich werde ihn zur Probe in die Streitkräfte aufnehmen.

...

Taran, 12.

Die Feinde weichen zurück, dank unseres Freundes Sakkar. Ich weiß nicht was mit ihm los ist, denn er kämpft mit der Verbissenheit eines Verrückten, ohne jemals Rücksicht auf sein eigenes Leben zu nehmen. Was hat diesen Mann nur so verbittert ?

...

Tolos, 2.

Ich bin heute zu Sakkars Gemächern gegangen um einige Dinge zu klären, doch er war nicht dort. Im Schlafgemach lag ein stickiger Verwesungsgeruch. Ich fand schließlich nach einigem Suchen in einem Schrank seine Mahlzeiten der letzten Wochen, völlig verdorben. Es ist, als habe er seit Wochen nichts gegessen. Schließlich fand ich einige Schminkartikel, in Hautfarbe, darunter hing ein Fetzen Haut, menschliche Haut... Ich weiß nicht was passiert ist, aber ich habe das Gefühl ich werde Sakkar nie wiedersehen. Wo er auch sein mag, ich werde sein Angedenken halten. Leider kann ich ihm jetzt nicht mehr dafür danken, daß er mir damals im Krieg das Leben gerettet hat. Ohne ihn hätte mich das Schwert von Csarak enthauptet. Und ohne ihn hätten wir niemals die zwanzig Jahre Frieden genossen. Und auch er scheint seinen inneren Frieden gefunden zu haben. Aber dennoch... seit einigen Tagen sah er zunehmend älter und schwächer aus, beinahe wie ein laufender Toter... Aber das ist absurd. Oder vielleicht nicht ?"

Schließlich fand ich, mit Hilfe eines Magiers, den ich mit dem letzten bischen Geld, das ich noch besaß bezahlte, den Beweis für Sakkars Unschuld:

"Darkola,

es wird wieder Zeit, daß du einen kleinen Dienst für mich tust. Nimm den kleinen Brief und verstecke ihn in den Sachen von Sakkar el-Muir, während er beim König zu Gast ist. Dann gib den Zettel dem Kapitän der Wache. Die Bezahlung findest du wie üblich.

T.A."

Sakkar wurde also durch Betrug aus seinem Lande vertrieben, und es war wohl auch dieser ungerächte Betrug, der dafür verantwortlich war, daß Sakkar nicht ins Totenreich eingehen konnte, wie es die Natur vorgesehen hatte.

Wir sehen also, die Kultur von O'Har ist wesentlich interessanter, als man auf den ersten Blick meint. Wenn meine angeschlagene Gesundheit es zuläßt, werde ich meine Untersuchungen fortführen, und noch weitere Dokumente zu Tage fördern, so daß die volle Wahrheit schließlich offenbart werde.

Tijola Mandratus, Chronologist seiner Majestät